Marius und Sulla

Zwei späthellenistische Bildnisse der Glyptothek zeichnen sich durch eine große Leidenschaftlichkeit aus. Energisch wirkt bei ihnen die Kopfwendung, entschlossen der Gesichtsausdruck mit der von Falten zerfurchten Stirn, den dachartigen Brauen, den tiefen Augenhöhlen und dem leicht geöffneten Mund.
Seitdem sie sich in München befinden, bilden die Porträts ein Paar. Man nannte sie „Marius“ und „Sulla“. Um 100 v. Chr. hatten diese beiden großen Staatsmänner der römischen Republik als Rivalen um die politische Macht die Geschicke Roms geprägt. Die Bildnisse sind allerdings erst rund ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod entstanden. Beide Köpfe stammen aus ganz verschiedenen römischen Sammlungen: Den „Marius“ erwarb Martin von Wagner 1814 aus dem Palazzo Barberini, wo er ein Paar mit einem Kopf bildete, der ebenfalls „Sulla“ genannt wurde und heute der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen gehört; der Münchner „Sulla“ war bereits 1811 im römischen Kunsthandel für die Glyptothek erstanden worden.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Bildnisse offensichtlich in derselben antiken römischen Werkstatt gearbeitet wurden. Im Aufbau und in der Modellierung stimmen sie bis in die Einzelheiten miteinander überein.
Der gemeinsame Entwurf beider Porträts spricht dafür, dass sie von Anfang an als Paar konzipiert waren – vielleicht für die Bildnisgalerie großer republikanischer Politiker, die der erste römische Kaiser Augustus auf seinem neu gestifteten Forum im Herzen Roms aufstellen ließ.

DER LETZTE REPUBLIKANER

Kein anderer uns bekannter Politiker des 1. Jahrhunderts v. Chr. verkörpert das Bild des Römers republikanischer Gesinnung so sehr wie Marcus Tullius Cicero. Und das, obwohl der Konsul von 63 v. Chr. kein Mitglied einer Familie der römischen Senatsaristokratie war, sondern als homo novus, als Aufsteiger aus dem ländlichen Ritterstand, Karriere in Rom machte.
Sein Porträt haben wir in einem Terrakottakopf von etwa halber Lebensgröße aus den Jahren um 50 v. Chr. vor uns. Gegenüber den Marmor-repliken wirkt er aufgrund seiner virtuosen und äußerst detaillierten Modellierung allerdings viel frischer und lebensnäher. Diese Gestaltung verleiht dem Gesicht denselben Ausdruck gesteigerter Leidenschaftlichkeit, der auch die feurigen Reden dieses größten Rhetors prägte, den Rom je besaß.

Der Ruhm Ciceros, der am 3. Januar 106 vor Christus geboren wurde und am 7. Dezember 43 vor Christus von Mörderhand starb, gründete sich schon zu seinen Lebzeiten vor allem auf eine außergewöhnliche Redebegabung, die ihm zu glänzenden Erfolgen als Ankläger und Verteidiger vor Gericht und zu einer gewichtigen Stimme im Senat verhalf. Noch heute gilt die Sprache Ciceros als höchste Vollendung klassischen Lateins.

EIN AUGUSTEISCHER DICHTER

Dieses Bildnis bekrönte einst einen Hermenschaft. Hermen waren eine griechische Erfindung archaischer Zeit und stellten ursprünglich Kult-pfeiler für den Gott Hermes dar. Sie standen an Wegkreuzungen oder an Ein- und Ausgängen von Heiligtümern, die Hermes als Gott des Uber-gangs beschützen sollte. Die Römer nutzten die Gattung dann in großem Stil und errichteten ganze Hermengalerien mit den Bildnissen historischer Persönlichkeiten, die die Säulenhallen und Gärten römischer Villen schmückten.
Zu den frühesten Beispielen dieser Art zählt die Hermenbüste der Glyptothek. Deren Haltung mit vorgewölbter Brust und gerundetem Rücken lässt sich eigentlich nur mit einer Sitzstatue in Verbindung bringen – ein Darstellungstypus, der seit hellenistischer Zeit in extensiver Weise für Philosophen- und Dichterbildnisse Verwendung fand. Und auch der nackte Oberkörper weist in diese Richtung, denn einen normalen Bürger oder Amtsträger hätte man dem Betrachter sicher in Toga oder Mantel gehüllt präsentiert.

Das Porträt mit dem kompakten Schädelbau stammt aus den Jahren um 30 v. Chr. – vergleichbar etwa mit einem etwas jüngeren Bildnis aus Privatbesitz (links). Wir haben also in der Münchner Hermenbüste eine zeitgleiche Teilkopie der Sitzstatue eines augusteischen Dichters – vielleicht sogar des Vergil oder des Horaz – vor uns.

Gebändigte Republikaner

In Form und Stil kann die Marmorbüste eines uns unbekannten Mannes (GL 325) dem Bildnis des Politikers und Redners Cicero (in der Vitrine) aus den Jahren um 50 v. Chr. an die Seite gestellt werden. Grundsätzlich sind die Proportionen der Schädel bei beiden Porträtfassungen einander ähnlich und auch die Gliederung der Gesichtsflächen wirkt unmittelbar verwandt. Die etwas beruhigteren Züge der Büste könnten damit erklärt werden, dass es sich hier wohl um eine erst zur Zeit des Augustus gearbeitete Kopie handelt. Gleiches gilt für einen stark bestoßenen und verwitterten Einsatzkopf (GL 537), der einen wichtigen politischen Protagonisten der späten Republik gezeigt haben muss, da man ihm noch ein Dreivierteljahrhundert später zur Erinnerung eine Statue errichtete.

Nach der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts gibt es zwar weiterhin eine Fülle von Bildnissen mit Altmännerphysiognomien, die von denselben markanten Zügen geprägt sind wie die Porträts aus den Jahrzehnten zuvor. Allerdings werden forcierte Altersmerkmale wie Hautfurchen, Runzeln oder hervortretende Wangenknochen und schlaffe Haut jetzt nicht mehr möglichst effektvoll in Szene gesetzt, sondern einer großflächigeren plastischen Durchformung untergeordnet. Einen solch gemäßigteren Ausdruck legen ein Kopf aus Münchner Privatbesitz und der sogenannte Brutus Rondanini der Glyptothek an den Tag.