Livia
In der Kaiserzeit lebte die römische Porträttradition ungebrochen fort. So wurden verdienten Persönlichkeiten Ehrenbildnisse errichtet, Inschriften überlieferten der Nachwelt ihre Wohltaten für die Gemeinschaft. An der Fassade von aufwendigen Grabbauten verewigten Porträts die Verstorbenen, oder Bildnisse von Patriziern wurden im öffentlich zugänglichen Teil des Wohnhauses präsentiert. Immer stand die familiäre Selbstdarsteliung im Vordergrund. Auch die Statue eines Mannes in der Toga, der römischem Bürgertracht, stellt solch ein Bildnis dar. Die führende Familie des Staates, das julisch-claudische Kaiserhaus, erweiterte die Funktion öffentlich aufgestellter Bildnisse um dynastische Aspekte, wie man sie zuvor in Rom nicht gekannt hatte.
Livia, die Ehefrau des Augustus, wurde schon zu Lebzeiten in Familiengalerien dargestellt. Nach dem Tod ihres Mannes erhielt Livia den Titel Augusta (die Erhabene) und wurde außerdem in die Familie der Julier aufgenommen. Ihre kopflose Statue trägt deshalb als Namenszug auf der unteren Platte die Aufschrift AUGUSTAE IULIAE DRUSI F – „Für die Augusta Julia, die Tochter des Drusus“. Das Porträt der Livia mit Diadem zeigt die nach ihrem Tode vergöttlichte Livia in ihrer Funktion als Beschützerin des römischen Staates. Ihre Gesichtszüge sind deutlich ideaiisiert im Vergleich zu der weniger geschönten Darstellung aus Privatbesitz.
Tiberius
Erst mit 55 Jahren wurde Tiberius römischer Kaiser. Er war ein Sohn der Livia aus erster Ehe. Als Heerfuhrer hatte er gemeinsam mit seinem Bruder Drusus Teile Germaniens erobert. Lange war er nicht für die Nachfolge des Augustus in Betracht gekommen, denn zunächst waren ihm dessen Neffen — Söhne des Agrippa — vorgezogen worden. Als diese jedoch starben, rückte Tiberius nach. Das Porträt aus seiner Regierungszeit (reg. 14—37 n. Chr.) sollte demnach eigentlich einen 60 bis 70-jährigen Mann zeigen, doch sind Alterszüge nur angedeutet. Die Haut der Wangen ist erschlafft und schwache Falten verbinden Nase und Mund.
Wie bei seinem Stiefvater Augustus wird im Bildnis größerer Wert auf die Verkörperung von Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter gelegt als auf die Betonung persönlicher Lebenserfahrung. Die gleichzeitigen Porträts von Personen außerhalb des Kaiserhauses näherte man an das aktuelle Herrscherbild an. Es ist bisweilen kaum möglich, das Alter der Dargestellten einzuschätzen. Bildnisse von Frauen waren zu Zeiten der römischen Republik eher selten geblieben. Da den weiblichen Familienmitgliedern jedoch in der dynastischen Repräsentation des julisch-claudischen Kaiserhauses eine größere Bedeutung beigemessen wurde, erscheinen sie nun vermehrt in öffentlichen Bildnissen der wohlhabenden Sippen. In vorbildlicher Haltung repräsentieren sie die von Augustus propagierten altrömischen Werte wie Bescheidenheit und Zurückhaltung.
Caligula und Claudius
Gaius Caesar hatte seinen Vater Germanicus schon als Kind auf Feldzüge begleitet und war deshalb von seiner Mutter als kleiner Legionär aus staffiert worden. Seine Soldatenstiefelchen, die Caligae, trugen ihm den Spitznamen Caligula ein. Obwohl er bereits mit 24 Jahren an die Macht kam und nach nur vierjähriger Herrschaft ermordet wurde, zeigt sein Porträt ihn nicht in jugendlicher Schönheit, sondern betont durch die hohe Stirn und die Geheimratsecken individuelle Merkmale, ja vielleicht sogar Alterszüge.
Drusilla, di Lieblingsschwester des Kaisers, starb kurz nach seiner Thronbesteigung. Ihre Frisur mit dem in Wellen gelegten Haar, das hinten in einem breiten Zopf zusammengefasst wird, ist eine aufwendige Variante einer typischen Haartracht der Zeit.
Frauenporträts außerhalb des Kaiserhauses kann man dank der einheitlichen Frisurenmode gut datieren. Die unbekannte Dame mit den Spirallocken hinter den Ohren trägt zum Beispiel die Haare wie Agrippina die Jüngere, Schwester des Caligula, Ehefrau des Claudius und Mutter des Nero.
Kaiser Claudius (regs 41—54 ns Chr.) wurde mit über 50 Jahren eher zufällig Kaiser, weil es keine anderen erwachsenen männlichen Verwandten des Augustus mehr gab. Zuvor hatten seine Geh- und Sprachbehinderung den an der Wissenschaft Interessierten von der Thronfoige ausgeschlossen. In seinem Bildnis treten individuelle Züge und Spuren des Alters offen zu Tage.